An der Kirche fliegen die Fetzen

An der Kirche fliegen die Fetzen

 – Von:  Carla MarconiTaunuszeitung 4.06.2015

Zum Abschluss eines Kunstprojekts, an dem dementiell erkrankte Menschen und Jugendliche teilgenommen hatten, ging es jetzt hoch hinauf. Vom Turm der Christuskirche segelten viele kleine Symbole für die Vergänglichkeit des Lebens.

Sie flattern im Wind und trotzen den Regentropfen – bemalte Papierstreifen fliegen vom Turm der Christuskirche, gleichen tänzelnden Blumen und verteilen sich dann auf dem gesamten Gelände um die Kirche. Ein paar Streifen schaffen es sogar bis an die Oberhöchstadter Straße. Fasziniert betrachten einige ältere Damen die Flugobjekte und freuen sich über den Anblick. „Sieht das schön aus!“, meint Dorothea Wassmann; und auch Emilie Hinke scheint von dem Spektakel beeindruckt.

Die beiden 91 und 88 Jahre alten Seniorinnen gehören zu den zehn Künstlern, die an einem außergewöhnlichen Projekt der Stadt teilgenommen haben. Große Bilder, drei Meter lang und zwei Meter breit, entstanden dabei. Nach sechs Treffen hatten die Teilnehmer – dementiell erkrankte Menschen aus dem Haus Emmaus und fünf Schüler im Alter zwischen 14 und 17 Jahren – die Bilder in Streifen geschnitten und in zwei Kisten gepackt. Am Montag wurden die Schnipsel dann auf die Reise geschickt.

Das Zerschneiden und Segeln lassen solle auch symbolisieren, dass man am Ende seines Lebens nichts festhalten kann, wie Kunsttherapeut Andreas Hett, Leiter des Projektes, betont.

Es war eine total schöne Erfahrung

Die Bilder zu zerschneiden und fliegen zu lassen, sei schon hart gewesen, wie die Schüler erzählen. „Aber es sah auch wunderschön aus, wie die Schnipsel geflogen sind“, sagen Monika (17), Janina (15) und Jannick (15) nach der Kirchturmaktion. Die Seniorinnen indes erinnern sich nicht mehr so genau. Emilie Hinke fragt: „Was war das jetzt?“ Sie weiß aber, dass sie früher sehr gern Ölbilder gemalt habe. Und Dorothea Wassmann sagt, das Projekt sei „gut“ gewesen.

„Frau Wassmann war der Hammer. Sie hat uns immer wieder motiviert, wenn wir mal einen Hänger hatten, und sie hatte eine Riesenausdauer“, erzählen Monika und Janina beeindruckt. Etwa beim ersten Treffen, als jeder seinen Namen in ein Gemälde integriert habe. Akribisch und konzentriert habe die Seniorin gemalt. „Und das Ergebnis war total schön.“ Bei den anderen beiden Bildern habe die Gruppe mit Bällen und Bändern gearbeitet. Während der Ball in Farbe gewälzt und über das Papier gerollt wurde, wurden die Bänder über die Gemälde gespannt und bewegt.

„Es war eine total schöne Erfahrung“, sind sich die Jugendlichen einig, die sich auch als Teamer in der Christuskirche engagieren. Auch wenn manche Sachen drei Mal hätten erklärt werden müssen, weil sie von den dementiell Erkrankten schnell wieder vergessen worden seien, habe das Projekt großen Spaß gemacht, betonen sie.

Fördermittel des Bundes

Die Idee zur künstlerischen Begegnung der Generationen hatte die Seniorenbeauftragte der Stadt Oberursel, Katrin Fink. Finanziert wurde das Projekt aus Fördermitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dieses hatte der Stadt im vergangenen Jahr 10 000 Euro für das Programm „Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz“ zur Verfügung gestellt.

Übrigens wurde ein Großteil der Papierfetzen wieder eingesammelt. Sie sollen als Eintrittskarten für den Film dienen, der von dem Kunstprojekt gemacht wurde. Geplant ist, das Werk im Herbst oder Winter dieses Jahres in Oberursel zu zeigen.